Porsche 911 Turbo

50 Jahre Witwenmacher

Eigentlich war der Porsche 930 ein urgemütliches Auto. Bis man ein bisschen zu fest aufs Gas drückte – dann wurde es ungemütlich. Soweit zum Ursprung des Übernamen “Witwenmacher”, den die ersten Porsche 911 Turbo Modelle erhielten. In den 50 Jahren hat sich die Leistung mehr als verdoppelt.

Veröffentlicht am 12.07.2024

Spoiler, Verbreiterungen und pfeifender Turbolader: Gibt es ein Auto, das mehr die Dekadenz der 1970er Jahre verkörpert als der Porsche 930? Dabei fing alles ganz brav an. Der erste Porsche 911 Turbo wurde am 29. August 1974 an Louise Piëch ausgeliefert. Die Tochter von Ferdinand Porsche erhielt den Sportwagen als Geschenk zu ihrem 70. Geburtstag. Sie wollte keine Verbreiterung und verzichtete auf die Tönung der Scheiben, damit sie die schöne Landschaft Österreichs unverfälscht geniessen konnte.

 

Das konnte man auch. Im unteren Drehmomentbereich war der Porsche 930 ein ziemlich normales Auto. Die Getriebeübersetzung war sehr lange ausgelegt, alles ging recht gemütlich vonstatten. Bis man aufs Gas trat. Ab ungefähr 4000 U/min entfaltete der Turbo seine Kraft wie ein Feuerball und schoss den überraschten Fahrer mit einem Kick in den Rücken nach vorne. Wo immer halt dann vorne war. 

Der Porsche 911 Turbo war der erste Sportwagen mit serienmässigem Abgasturbolader und Ladedruckregelung. Er schaffte eine Höchstgeschwindigkeit von 250 km/h – damit war er lange Zeit Deutschlands schnellster Strassensportwagen. Die 260 PS, die der 3-Liter-Motor leistete, hatten mit dem 1140 kg Leergewicht leichtes Spiel, was manch unbedarften Autofahrer in die Büsche bugsierte. Viele Turbos endeten so. Das Problem kriegten die Ingenieure mit einem Abgas-Bypassventil in den Griff, was die Kraft des Turboladers ein bisschen besser verteilte. Auch die Bremsen aus dem Carrera reichten nicht für die Power – so baute man hinter den Rädern innenbelüftete Scheibenbremsen mit Aluminium-Bremssätteln ein, die schon im Rennwagen Porsche 917 ausgezeichnet funktionierten. 

1977: Magische Grenze von 300 PS geknackt

Als hätte der 3.0-Liter-Motor nicht schon genug Schaden angerichtet, folgte bereits 1977 der 911 Turbo 3.3, dessen vergrösserte Maschine dank Ladeluftkühlung die magische Zahl von 300 PS erreichte. 1987 kam eine Targa-Variante und ein Cabriolet auf den Markt. Wer so etwas hatte, brauchte keinen Fön mehr. 

Neues Jahrzehnt, neues Glück

1990 war in Deutschland alles möglich. Ost und West wurden wieder vereint, sie gewannen die Fussball-WM und die Porsche 911 Turbos dominierten die Autobahnen. Basierend auf der Porsche 964 Baureihe, hatte der neue Porsche Turbo ab 1991 erneut den 3.3-Liter-Motor an Bord, der hier aber 320 PS Leistung brachte.

1993 überarbeitete Porsche das Turbo-Modell und implantierte den neuen 3.6 Liter-Motor, der 360 PS leistete. Bereits zwei Jahre später präsentierte Porsche die nächste 911 Turbo-Generation. 

Zwei Turbos sind besser als einer

Der Motor des 911 Turbo der Generation 993 schöpfte aus 3,6-Liter mit zwei Turboladern eine Leistung von nunmehr 408 PS. Von null auf 100 km/h beschleunigte der 911 Turbo in 4,5 Sekunden, die Höchstgeschwindigkeit betrug 290 km/h. Neu war auch der vom 911 Carrera 4 übernommene serienmässige Allradantrieb.

300 km/h Grenze geknackt 

Die ungeliebte Porsche 996-Generation behielt den Allradantrieb und den Biturbo bei. 420 PS, in 4,2 Sekunden von null auf 100 km/h sowie 305 km/h Höchstgeschwindigkeit, lauteten die Leistungsdaten. Damit knackte Porsche erneut eine magische Grenze und wurde erneut zum schnellsten Land-Verkehrsmittel zwischen München und Berlin. 

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Automat schneller als Schaltgetriebe 

2006 folgte die sechste Generation des 911 Turbo. Erstmals war der Top-Elfer mit dem Automatikgetriebe Tiptronic S schneller von null auf 100 km/h als mit dem Sechsgang-Schaltgetriebe: Mit 3,7 Sekunden lag der Sprint-Vorteil bei zwei Zehntelsekunden. Die Höchstgeschwindigkeit betrug sagenhafte 310 km/h. 

Sparsamer Turbo-Motor mit 500 PS

2010 gab es erneut eine 911 Turbo-Modellpflege. Der neue Porsche Turbo wurde nicht nur stärker, schneller und noch dynamischer, sondern auch leichter und sparsamer. Herzstück bildete der komplett neu entwickelte Motor mit 3,8 Liter Hubraum und 500 PS Leistung. Als Option konnte der Sechszylinder erstmals mit dem Porsche Doppelkupplungsgetriebe (PDK) kombiniert werden. Je nach Fahrzeugkonfiguration begnügte sich das neue Topmodell mit 11,4 bis 11,7 l/100 km. 

Hinterachslenkung und aktive Aerodynamik 

Porsche präsentierte 2013 gleich zwei neue Spitzenmodelle: 911 Turbo und 911 Turbo S. Die neue Leichtbau-Karosserie mit 100 Millimeter längerem Radstand, erstmals aktiver Hinterachslenkung und auf 20 Zoll vergrösserten Rädern steigerten die fahrdynamischen Reserven ebenso wie die neue aktive Aerodynamik. Der neue 911 Turbo S verkürzte die Rundenzeit auf der Nürburgring-Nordschleife auf unter 7:30 Minuten – mit Strassenreifen. 

Evolution statt Revolution

Ende 2015 überarbeitete Porsche den 911 Turbo erneut. Die modellgepflegte Generation 991 erhielt 20 PS mehr Leistung, ein geschärftes Design und eine weiterentwickelte Ausstattung. Der Biturbo-Sechszylinder im 911 Turbo leistete nun 540 PS. Der 911 Turbo S kam auf 580 PS. 

Wie immer, eine neuer Rekord

Wie seine Vorgänger auch, trat die achte Generation ein grosses Erbe an. Jede Modellreihe vor ihm schrieb den Ruf als weltweite Referenz für Hochleistungssportwagen fort. So auch der aktuelle 911 Turbo (992). Er unterbietet erstmals die magische Grenze von drei Sekunden beim Sprint auf hundert um 0,2 Sekunden. Die jüngste Generation des 2+2-Sitzers ist mehr als doppelt so stark wie der erste Turbo mit Dreiliter-Sechszylinder, einem einzelnen Lader und 191 kW (260 PS). Optisch ist der 911 Turbo im Vergleich zu seinem direkten Vorgänger noch muskulöser geworden, 20 Millimeter breiter an der Hinterachse, 45 Millimeter über der Vorderachse. 

DNA immer bewahrt

Obwohl der 911 Turbo über die Jahre schneller, grösser und komfortabler geworden ist, hat er sich seine Grundcharakteristika stets bewahrt. Er verbindet Sportlichkeit mit Alltagstauglichkeit, Emotionalität mit Zuverlässigkeit und Dynamik mit Effizienz. Er ist der Gralswächter über die Porsche-DNA, mit der es die Zuffenhausener schafften, Geschichte zu schreiben. Immer wieder. 

Text: Jürg Zentner 

Bilder: Porsche 

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