Auto Union Typ 52: Die Unvollendete
Jeder grosse Künstler hat ein unvollendetes Meisterwerk: Was die Pietà Rondanini für Michelangelo oder das Requiem für Mozart, ist der Auto Union Schnellsportwagen für Ferdinand Porsche. Audi hat nun den Auto Union Typ 52 nach alten Plänen vollendet.
Angefangen hat alles in den frühen 1930er Jahren, als die deutsche Automobilindustrie alle anderen überflügelte. Mercedes-Benz, Maybach, BMW, Opel, Horch, DKW, Wanderer und noch viele mehr stellten atemberaubende Fahrzeuge her, die ihrer Zeit weit voraus waren.
1932 schlossen sich die Unternehmen Audi, DKW, Horch und Wanderer zur Auto Union AG zusammen, für welche die Vier-Ringe stehen. Die Auto Union engagierte sich schon früh im Motorsport, um das neue Vier-Ringe-Logo international bekannt zu machen. 1933 erteilte die Auto Union AG dem Stuttgarter Konstruktionsbüro von Ferdinand Porsche den Auftrag, einen Rennwagen zu entwickeln, der nicht mehr als 750 Kilogramm wiegen darf.
Weltrekord innert eines Jahres
Bereits ein Jahr später fuhr Hans Stuck auf der Berliner AVUS mit dem von Porsche entwickelten Auto Union Typ A einen Weltrekord. Statt wie Mercedes-Benz den Motor in der Front zu verbauen, entschied sich Porsche dafür, den Motor hinter dem Fahrer zu platzieren. Ein Visionär: Das Mittelmotor-Konzept ist bei Formel 1-Fahrzeugen bis heute Standard.
In den folgenden Jahren kämpfte die Auto Union mit Mercedes-Benz um die Grand-Prix Siegerplätze. Auto Union holte noch mehrere Geschwindigkeitsrekorde, gewann zahlreiche Bergmeisterschaften, drei deutsche Meisterschaften und 1936 die Europameisterschaft mit dem weiterentwickelten Auto Union Typ C.
Strassenversion des Grand-Prix-Siegers
Weil alles so gut lief, wurde Ferdinand Porsche mit der Entwicklung einer Strassenversion des Auto Union Rennwagens beauftragt. Ziel war es, aus den Rennsport-Erfolgen Kapital zu schlagen und einen alltagstauglichen Sportwagen zu entwickeln, der auch für dynamische Fernfahrten geeignet ist. Heute würde man von einem Gran Turismo sprechen.
Der Schnellsportwagen
Porsche betitelte das Projekt als “Schnellsportwagen”, bei Auto Union lief es unter der Bezeichnung “Typ 52”. Ende 1933 entstanden im Porsche Konstruktionsbüro erste Designskizzen, die im Verlauf des Jahres 1934 konkrete Formen annahmen. Das Chassis des Auto Union Typ 52 wäre auf einem Leiterrahmen mit Mittelmotor gebaut worden. Man hätte die Antriebseinheit aus dem Rennwagen, dem Auto Union Typ 22, genommen.
Der Motor im Auto Union Typ 52, ein 16-Zylinder-Motor mit 4,4 Liter Hubraum, wäre also derselbe wie aus dem Rennwagen gewesen, allerdings mit weniger Verdichtung, damit der Typ 52 normales Benzin hätte tanken können. Die Ingenieure berechneten eine Fahrleistung von rund 200 km/h, was den Namen “Schnellsportwagen” mehr als gerechtfertigt hätte. Es wäre eines der schnellsten Fahrzeuge mit Strassenzulassung geworden. Hätte, hätte, Antriebskette: Erst beschloss man einen Versuchswagen zu bauen, doch leider wurde das Projekt 1935 eingestellt.
Die Vollendung des Meisterwerks
Rund 90 Jahre später hat Audi das unvollendete Kunstwerk von Crosthwaite & Gardiner aufbauen lassen. Als Grundlage dienten historische Dokumente, Pläne, Skizzen, Fotos, Schnipsel, Augenzeugenberichte und Konstruktionszeichnungen. Alle Bauteile wurden in Handarbeit speziell für das Modell angefertigt.
Mit seinen über fünf Metern Länge würde der Auto Union Typ 52 ins heutige Strassenbild passen. Auch was das Design betrifft: Den Ingenieuren war damals schon die bestmögliche Aerodynamik wichtig – maximale Performance, die Messlatte. Der Auto Union Typ 52 hatte im Gegensatz zu den Grand-Prix Fahrzeugen ein Dach über dem Kopf, Scheinwerfer und Platz fürs Gepäck sowie für eine doppelte Ersatzbereifung.
Auch wenn das Fahrzeug für längere Fahrten konzipiert war, mussten die bis zu drei Passagiere auf Luxus verzichten. Wie im richtigen Rennauto, sitzt der Fahrer im Auto Union Typ 52 in der Mitte, die Beifahrersitze sind seitlich leicht versetzt nach hinten. Das Leergewicht beträgt 1’300 Kilogramm.
Text: Jürg Zentner
Bilder: Audi