Verkehrspolitik

Ignorierte Alternativen zur Elektromobilität

Veröffentlicht am 20.02.2020

Geht es nach den Politikerinnen und Politikern, ist es mit den Verbrennern in absehbarer Zeit vorbei. Nur so lasse sich das per 2050 gesetzte Klimaschutzziel erreichen. So haben sich unter anderem die deutsche Bundeskanzlerin sowie die Präsidentin der EU-Kommission am Wirtschaftsforum in Davos geäussert. Vom Vorstandsvorsitzenden des Volkswagen-Konzerns in Wolfsburg bekommen sie Unterstützung: Herbert Diess will ab 2030 ausschliesslich VWs mit Elektroantrieb produzieren. Sein Konzern war es, welcher über «Dieselgate» den Feldzug gegen den Verbrennungsmotor ins Rollen gebracht hatte. CEOs anderer Hersteller ärgern sich, wagen sich aber wegen drohender Negativschlagzeilen nicht, Kontra zu geben. Boris Johnson, der flexible Premier, bestätigte letzthin, dass Grossbritannien per 2035 keine Neuwagen mit Verbrenner mehr zulassen wolle. Auf der Insel hat Jaguar/Land-Rover kürzlich eine neue Motorenfabrik in Betrieb genommen.

Fachleute aus der Deckung

Massgebliche Leute hinter der Front wagen sich nun aus der Deckung. So Lino Guzzella von der ETH Zürich oder Mario Gutmann, Betriebsratsvorsitzender der Robert Bosch GmbH in Bamberg (D). Auch Stefan Pischinger, CEO des Motoren- und Antriebsentwicklers FEV Aachen (D) mit Standorten in 20 Ländern, warnt vor dem Elektrohype. Unisono haben die ausgewiesenen Fachleute – anders als der Verfasser in ai 2/19 und ai 11/19 – nicht den Klimawandel im Visier, sondern die Art und Weise, wie das CO2-Ziel erreicht werden soll.

Mit Strom allein lässt sich die Vorgabe nicht erreichen, es braucht weitere Unterstützer für die individuelle Mobilität, so die Kernaussage von Leuten, die nicht dem Populismus, sondern der Realität verpflichtet sind. Auch weitere Exponenten haben den Gesamtblick im Visier: Versorgung, Kosten, Stand der Entwicklung, Infrastruktur, effektive CO2-Emissionen sowie Arbeitsplätze.

Bundesrat hält sich zurück

Unsere Exekutive hat sich bislang nicht eingemischt, sondern harrt der Dinge, welche kommen sollen. Man ahnt jedoch, wenn es um die alleinige Meinung unserer aktuellen Bundespräsidentin ginge, hätte der Bundesrat längst ins Horn von Angela Merkel, Ursula von der Leyen, Anne Hidalgo (Stadtpräsidentin Paris), Boris Johnson und der norwegischen Exekutive geblasen.

Defizite haben alle, auch unsere Regierung. Vor allem damit, der Bevölkerung zu sagen, wie es mit der Besteuerung der Elektrofahrzeuge via Zapfsäule oder mit den Restwerten von Leasingautos weitergeht. Dies wäre schnellstmöglich angesagt, um den künftigen – und geförderten – Käufern von Elektrofahrzeugen reinen Wein einzuschenken, statt sie im Ungewissen zu lassen. Der Anteil der Stromer wird so oder so steigen. Ergo muss das Strassenverkehrsnetz mittelfristig von den elektrisch Fahrenden mitfinanziert werden.

Lino Guzzella, Professor für Thermodynamik an der ETH: «Im Grundsatz muss das Ziel im freien Wettbewerb erreicht werden. Eine überbordende Finanzierung, wie in der EU vorgesehen, schafft neue Generationskonflikte. Es wäre falsch, wenn Europa eine Mauer aus Zöllen und Handelsschranken um sich zieht.»

Kontraproduktiv

Mario Gutmann: «Null Gramm sind kontraproduktiv. Betrachtet man das E-Fahrzeug von der Entstehung bis zur Entsorgung, ist es nicht CO2-frei, sondern erzeugt genauso CO2 wie Autos mit anderen Antriebstechnologien. Unterm Strich ist die Elektrifizierung ein Ablassbrief der Hersteller nach Brüssel. Sie müssen ab 2020 pro Fahrzeug und Gramm, um das sie den Zielwert verfehlen, 95 Euro nach Brüssel überweisen.».Prof. Peter Gutzmer, der 2019 in den Ruhestand gegangene stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Schaeffler AG, rechnete durch, bis 2030 zehn Millionen Elektroautos und Plug-in-Hybride auf deutschen Strassen zu haben. «Dadurch werden wir rund 22 Millionen Tonnen CO2 einsparen», sagt Gutzmer. «Um das Klimaziel zu erreichen, müssen wir bis 2030 die Emissionen jedoch um 80 Millionen Tonnen reduzieren. Deshalb braucht es zur CO2-Senkung auch E-Fuels für die Diesel und Benziner.» Der frühere Motoren-Chefentwickler von General Motors, der Österreicher Fritz Indra, darf sich nun ebenfalls frei äussern: «Die finale Lösung sind CO2-neutrale synthetische Treibstoffe. Diese benötigen für die Herstellung so viel CO2, wie dann im Betrieb wieder verheizt wird.» Ausgedeutscht: Das durchschnittliche Alter des PW-Bestands liegt bei über zehn Jahren, viele Autos laufen nach 20 Jahren noch im Alltagseinsatz, wir brauchen sowieso fossile Treibstoffe für Dekaden.

Alternative Treibstoffe

Gemeinsamer Nenner: Es braucht nicht bloss Stromer, sondern E-Fuels für Verbrenner. E-Fuels wie Ethanol können wir aus Holz, Laub oder Abfällen produzieren und uns dadurch von dubiosen Ländern wie Saudi-Arabien oder Venezuela unabhängiger machen. Die Produktion wäre teurer, aber wir müssten die Treibstoffpreise nicht über CO2-Gesetze künstlich anheben, um die Mobilität zu lenken. Die Technologie zur Produktion von E-Fuels würde sogar Arbeitsplätze schaffen und andere via Elektromobilität nicht vernichten. Mit E-Fuels liesse sich die Klimadiskussion allgemeinverträglich entschärfen, das seit Jahren aufgebaute Know-how der Verbrennertechnologie bewahren und weiterentwickeln, ohne dass auch Zulieferer in Schwierigkeiten geraten. Porsche hat bereits 1986 Versuche mit Ethanol unternommen. Es funktionierte mit geringem materiellen Mehraufwand.

Lino Guzzella in der NZZ: «Diejenigen, welche heute entscheiden, werden im Jahr 2050 nicht die Verantwortung für die Folgen tragen. Die derzeitige Form des politischen Klimapopulismus ist so bequem wie falsch». Die Meinung von Christian Bach, Leiter Fahrzeugantriebssysteme bei der Empa in Dübendorf, ist schon lange bekannt: «Wir brauchen eine gesamtheitliche Sicht. Auch die Elektromobilität hat schmutzige Seiten. Wechseln wir nur das Antriebskonzept, haben wir nichts gewonnen.»

Simples Beispiel

Ziele setzen ist okay, der Industrie technische Vorgaben zu machen, jedoch nicht der richtige Weg. Dazu ein simples Beispiel: Anders als die meisten Länder, kennen wir keine Winterreifenpflicht. Sofern man keine Winterräder montieren wollte, konnte man in den vergangenen Monaten Dezember und Januar im Mittelland ohne schlechtes Gewissen mit Sommerreifen fahren und sich ein ÖV-Abo sparen. Kompliziert oder einfach, je nach Perspektive.

Text: Jürg Wick


Die Meinung des Autors entspricht nicht zwingend der der Redaktion.

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