Klassiker: Porsche 356 Speedster 1955

Mehr Porsche geht nicht!

Dem 356 Speedster fehlt alles, was beim Porschefahren stört. Zum 70. Geburtstag der Marke haben wir ein Museumsstück über Schweizer Pässe gescheucht und geraten dabei ins Philosophieren: Mehr Porsche geht nicht!

Veröffentlicht am 22.01.2020

Es ist das Traumauto von Vater und Sohn Porsche. Aber eines, das es noch nicht gibt und das die beiden deshalb selber bauen müssen. Als Ferdinand Porsche im August 1947 aus französischer Haft ins Zivilleben zurückkehrt, begutachtet er die in seiner Abwesenheit weit fortgeschrittene Konstruktion von Sohn Ferry. Sein Verdikt: «Keine Schraube hätte ich anders gemacht.»

Allerdings hat dieser bereits 356 genannte Prototyp aus Stahl noch einen vor der Hinterachse platzierten Mittelmotor, das ab 1948 unter gleicher Konstruktionsnummer als 356/2 produzierte Serienfahrzeug hingegen einen Heckmotor. Die ersten 50 Fahrzeuge entstehen im österreichischen Gmünd mit Aluminiumkarossen, deren Design von Käfer-Entwerfer Erwin Komenda stammt.

Schon ab 1949 beginnt die Carrosserie Reutter in Stuttgart, Stahlkarossen für den neuen Porsche-Sportwagen zu produzieren: das heute heiss begehrte und unbezahlbare Urmodell mit Knickscheibe, die sogar bis 1952 noch einen Mittelsteg aufweist. Eine gebogene Scheibe gibt es erst beim 356 A ab 1955.


Offener als offen

Da schon der Prototyp offen ist, gibt es von Anfang an auch ein Cabriolet mit Kurbelscheiben und einfach zu bedienendem, wasserdichtem Verdeck. Doch der amerikanische Importeur Hoffmann hat die Idee, den 356 noch puristischer zu machen und erfindet den legendären Speedster.

Auf dem alten Kontinent ist das Wetter zu regnerisch, die Nachfrage nach soviel Offenheit gering. 15 500 Franken kostet der Speedster hierzulande 1955, 450 Franken weniger als das Coupé, 3220 Franken billiger als das Cabriolet. Günstiger ist kein Porsche. Heute ist es gerade anders herum. Wir bekommen das Exemplar aus dem Porsche-Museum ausgehändigt. Versicherungswert: 600 000 Euro. Wenn das mal reicht ...

Die Türen machen, wie alles am Speedster, einen hochwertigen Eindruck. Sind die Beine zwischen dem Baekelit-Lenkrad durchgefädelt, sitzt es sich sehr bequem in den roten Echtleder-Schalensitzen. Nur die Längsverstellung gelingt erst mit Nachdruck, eine Höhen- oder Lehnenverstellung gibt es nicht, grosse Erklärungen zum Auto auch nicht. Es ist schliesslich kaum Erklärungsbedarf vorhanden. Höchstens, dass bei leichtem Regen das Verdeck offen bleiben soll und die Steckscheiben im Kofferraum bleiben müssen, weil die Fenster sofort beschlagen. Und Motor, Getriebe und Reifen seien noch kalt, weil ich den Speedster als erster fahre.

 

Viel Spass mit wenig PS

Aber die überschaubare Technik ist schnell auf Betriebstemperatur, die Überraschung somit perfekt. Was erstaunt den 356-Piloten und Speedster-Neulenker so sehr? Der Schub! Dass hier ein – man verzeihe mir den Ausdruck – getunter Käfer-Motor mit etwas mehr Hubraum, aber trotzdem nur 55 Pferden am Werk ist, glauben die Kollegen, die mir in anderen alten – und stärkeren – Porsches zu folgen versuchen, kaum.

Tatsächlich ist der Boxer extrem leistungfähig, darf auch gerne mit Vollgas gejagt werden, ja er muss sogar, denn gerade bei Bergabfahrten sind ein zu hoher Gang und niedrige Touren nicht bekömmlich, weil der Kühlerventilator dann zu langsam dreht. 800 Kilogramm inklusive Pilot lassen sich leicht in Bewegung versezten. Auch seitlich!

Nach etwas Angewöhnung lässt man das Heck in den Kurven so richtig tanzen. Weit fliegt es nicht und ist schnell wieder eingefangen. Insbesondere bergauf, wenn die Gefahr zerstörerischer Überschussgeschwindigkeit geringer ist, lassen sich schöne Drifts verwirklichen. Das Fahrwerk ist meilenweit besser als das des Käfers. Das Museum hat zudem etwas nachgeholfen und die originalen, hochbeinigen 16-Zoll-Räder durch besser haftende 15-Zöller ersetzt.

Lenkung und Fahrgefühl sind für heutige Verhältnisse eher indirekt, die Federung hingegen erstaunlich komfortabel. Auch die vier synchronisierten Gänge lassen sich geräuschlos und über das lange Gestänge leidlich präzise wechseln. Auch hier macht Übung den Meister.

 

Alles irgendwie vertraut

Der Wind bläst ungehemmt von allen Seiten, bei Grossgewachsenen auch in die Augen. Der Motor werkelt weit hinten, ist also nie aufdringlich, aber immer gut hörbar – und er klingt noch richtig nach Käfer. So schön vertraut! Und doch völlig anders, denn so schnell war ein Käfer nie.

Der 356 Speedster kommt somit dem Traumwagen von Vater und Sohn Porsche, dem ersten 356-Prototypen, so nahe wie kein anderes Auto ausser vielleicht ein 550 Spyder. Er ist ihm jedenfalls näher als ein 700-PS-GT2 mit allem Drum und Dran. Und er sollte zum Denken anregen, ob in ihm nicht mehr Zukunft verborgen ist als im hochtechnisierten Taycan. Ein kleiner, netter, offener Vierzylinder-Porsche – preislich und leistungsmässig weit unterhalb des Boxster: Entspräche das nicht auch Ferdinands und Ferrys ursprünglichem Ideal?

Genug philosophiert. Wer aufgrund dieser Zeilen und der Fotos Blut geleckt hat, sollte mindestens eine halbe Million – egal welcher Währung – in der Schatulle bereit halten. Viel schwieriger ist es, jemanden zu finden, der sich von seinem Exemplar trennt, denn der Speedster-Virus ist unheilbar. Ich rede schliesslich jetzt aus eigener Erfahrung ...

Text: Stefan Fritschi  / Fotos: Marcus Werner, Thibaud Chevalier, Stefan Fritschi

Porsche 356 1500 Speedster (1955)

Motor: 4-Zylinder-Boxer
Hubraum: 1488 cm3
Leistung: 40 kW/55 PS
Drehmoment: 106 Nm bei 2800/min
Getriebe: 4-Gang manuell, Hinterrad
Verbrauch: ca. 8 bis 11 l/100 km
Beschleunigung: 0–100 km/h 17 s
Höchstgeschwindigkeit: 160 km/h
L/B/H: 3950/1670/1215 mm
Leergewicht: 760 kg
Ladevolumen: rund 80 l

Preis (1955): ab 15 500 Franken
Wert (2020): ca. 500 000 bis 700 000 Franken.


70 Jahre Porsche in der Schweiz – der Film

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