

Robin Road - Winterpneus im Sommer
Irène fuhr wie jeden Oktober zum Reifenwechsel ins Pneuhaus. Sie übergab dem Mechaniker Auto, Schlüssel und Winterreifen. Bereits nach fünf Minuten war er mit Auto und Schlüssel schon wieder zurück – mit einem süffisanten Lächeln.
Ein Blick in den Kofferraum verriet den Grund: Statt Winterreifen waren Sommerpneus geladen. Die Winterreifen waren bereits montiert. Ein Blick in die Kundenkartei brachte Gewissheit – Irène hatte den Wechsel im Frühling schlicht vergessen. Der anfängliche Moment der Peinlichkeit wich herzhaftem Gelächter – ein Fehler mit humorvollem Ausgang. Doch das brachte die Frage auf: Ist das Fahren mit Winterreifen im Sommer eigentlich ein Problem?
Pflicht zur Fahrzeugbeherrschung
In der Schweiz gibt es weder eine Pflicht, im Winter mit Winterreifen zu fahren, noch ein Verbot, sie im Sommer zu nutzen. Der umgekehrte Fall – mit Sommerfinken durch den Schnee zu schlittern – ist weit problematischer und sorgte beispielsweise letzten November für spektakuläre Rutschpartien. Doch wie sieht es aus, wenn man bei Temperaturen von 30 Grad mit Winterreifen unterwegs ist? Tests zeigen, dass Winterreifen auf warmem Asphalt eine schlechtere Bodenhaftung haben, was sich auf trockener wie nasser Fahrbahn negativ auswirkt. Der Bremsweg verlängert sich merklich, und das Fahrverhalten wird schwammiger. Die weichere Gummimischung, die bei Kälte für Grip sorgt, kann bei sommerlichen Temperaturen zum Problem werden.
Der Grund, weshalb das Gesetz das Fahren mit den saisonal unpassenden Reifen nicht verbietet, liegt in der allgemeinen Pflicht, dass der Fahrer sein Fahrzeug in jeder Situation beherrschen können muss. Weiter schreibt das Gesetz vor, dass er sein Auto betriebs- und verkehrssicher auszurüsten habe.
Robin Road ist kein Fall bekannt, in dem ein Fahrzeuglenker gebüsst worden wäre, weil er im Sommer mit Winterpneus gefahren ist. Vorausgesetzt werden genügend Profiltiefe und ein gesunder Reifen. Rechtlich betrachtet drängt sich neben einer Busse auch die Frage der Gefährdung im Strassenverkehr auf. Angesichts von Bremswegverlängerung und Fahrstabilitätsproblemen könnte dies das Strassenverkehrsamt auf den Plan rufen. Allerdings scheint eine Verwarnung oder Ausweisentzug nur in ausserordentlichen Fällen denkbar, sozusagen wenn ein Auto mehr oder weniger abschmieren würde. Sollte aber unsere Leserschaft von solchen Fällen Kenntnis haben, melden Sie sich bitte ungeniert.
Armee auf Winterfinken unterwegs
Als weiteren kritischen Punkt ist die zivilrechtliche Haftungsfrage zu prüfen. Kommt es aufgrund ungeeigneter Bereifung zum Unfall, könnte dem Fahrer ein Mitverschulden angelastet werden. In solchen Fällen wäre denkbar, dass der Versicherer nach Prüfung des Schadensfalls die Schadenübernahme ganz oder teilweise ablehnt oder bereits erbrachte Leistungen zurückfordert. Dies schreibt der Schweizerische Versichersicherungsverband SSV (www.svv.ch). Allerdings scheint auch hier ein Extremfall erforderlich zu sein. Die Empfehlung des SSV, die von Fahrten mit Winterpneus im Sommer abrät, ist aber sicher nicht falsch, ausser man wohnt in Höhenlagen, die auch im Sommer immer mal wieder verschneit sind. Abgesehen davon ist der Fahrspass deutlich grösser, wenn die richtigen Pneus montiert sind.
Laut dem Portal streetlife.ch fährt die Schweizer Armee übrigens ganzjährig auf Winterreifen, aus mannigfachen Gründen. Ob die auch für private Autofahrer gelten, sei dahingestellt.
Robin Road wünscht eine sichere Fahrt!
Dr. Rainer Riek alias Robin Road ist Anwalt und Notar bei www.zp-law.ch und unter anderem
spezialisiert auf Verkehrsrecht. Auf der Internetseite www.driving.legal schreibt Robin Road einen Autoblog. Haben Sie Fragen an Robin Road? Abonnentinnen und Abonnenten profitieren von einer kostenlosen Rechtsberatung. Schreiben Sie eine E-Mail an ai-abo@c-media.ch.