Schweizer Künstler wird 100 Jahre alt

Jean Tinguely und seine Liebe zum Auto

Jean Tinguely ist der wohl berühmteste Schweizer Künstler überhaupt. Seine kinetische Kunst begeistert bis heute. Tinguely war aber auch ein grosser Liebhaber des „schönsten Kunstwerkes der Welt“ – dem Automobil. Fasziniert von Geschwindigkeit, fuhr er selbst Ferraris und verarbeitete seine Leidenschaft auch in seinen Kunstwerken. Am 22. Mai wäre Jean Tinguely 100 Jahre alt geworden.

Veröffentlicht am 22.05.2025

Jedes Zürcher Kind, aber auch jedes Basler Kind, genauso wie jedes Pariser Kind kennt Jean Tinguely. In Zürich wegen der Skulptur “Heureka” beim Zürichhorn, in Basel wegen des “Tinguely-Brunnen” am Theaterplatz und in Paris ist es der „La Fontaine Stravinsky“ beim Centre Pompidou.  

Spass an der verspielten Kunst

Viele seiner Skulpturen bestehen aus vermeintlichem Schrott und scheinbar wahllosen, humorvoll inszenierten Maschinenteilen, die zum Teil interaktiv in Bewegung gesetzt werden. Weil sich seine Kunstwerke quietschend bewegen, drehen, schieben, ziehen, stampfen, zischen, fauchen, etc., haben auch Kinder sofort Spass an der verspielten Kunst von Jean Tinguely. Und wer Kinderherzen ebenso begeistern kann wie internationale Kunstkritiker, hat etwas richtig gemacht. 

Konstruktiver Realismus

Der vor hundert Jahren in Freiburg geborene und in Basel aufgewachsene Jean Tinguely machte sich schon in den 1950er Jahren einen Namen als Künstler. Er war Mitglied der Pariser Künstlergruppe Nouveaux Réalistes, die Alltagsobjekte in ihre Kunst einbezog. Tinguelys Werke wurden verstanden als Kritik an der industriellen Gesellschaft und der Konsumkultur – provokativ, aber immer mit Ironie. Ein bisschen wie Banksy heute, einfach mit Schweissgerät statt mit Spraydose. 

Hommage to New York

Weltberühmt wurde Tinguely im Jahr 1960, als er mit „Homage to New York“ eine sich selbst zerstörende Maschine im Garten des Museum of Modern Art in New York präsentierte. Das Spektakel endete mit Chaos und Feuer – ganz im Sinne Tinguelys humorvoller Kritik an der Moderne. 

Fasziniert von der Geschwindigkeit

Der Grund, warum wir über Jean Tinguely schreiben, ist aber seine Liebe zum „schönsten Kunstwerk der Welt“, wie er das Automobil bezeichnete. Tinguely war nicht nur ein brillanter Künstler, sondern auch ein besessener Petrolhead. Er verpasste kein Formel-1-Rennen und sammelte selbst leidenschaftlich Autos, vorzugsweise Ferraris, fuhr gerne Mercedes und bemalte ein Seitenwagen-Gespann, das er für Rennen sponserte. 1984 versuchte er sogar, den damaligen Bundesrat Alphons Egli in einem Brief davon zu überzeugen, in der Schweiz wieder einen Formel-1-Grand-Prix einzuführen. Leider vergeblich.

Freundschaft für die Ewigkeit

Die Geschwindigkeit zog ihn magisch an. Zu seinen besten Freunden zählte der Formel-1-Rennfahrer Jo Siffert. Sie verband nicht nur die gemeinsame Heimat Fribourg, sondern auch die Leidenschaft für Mechanik und alles, was schnell ist. Die Freundschaft sollte für die Ewigkeit sein, auch wenn sie abrupt endete. 

Jo-Siffert-Brunnen

Jo Sifferts tödlicher Unfall am 24. Oktober 1971 in Brands Hatch hat Tinguely tief getroffen. Zehn Jahre danach organisierte Tinguely eine Gedenkfeier am Bergrennen St-Ursanne–Les Rangiers. Für diesen Anlass entwarf er nicht nur das Plakat mit einer Fotografie Sifferts, sondern nahm auch selbst in der dafür entworfenen Klamauk-Rennmaschine teil. Wie es für Tinguely gehört, absolvierte sein lärmiger Wagen die Strecke rauchend, fauchend, zischend. Und 1984 schenkte Tinguely der Stadt Fribourg den Jo-Siffert-Brunnen als öffentliches Denkmal für seinen Freund.

Rennsport und Kunst

Die Faszination fürs Auto und Geschwindigkeit brachte der 1991 verstorbene Jean Tinguely auch in seinen Kunstwerken zum Ausdruck. So funktionierte er zwei Rennwagen-Chassis zu einem Flügelaltar um, erinnerte mit einer Skulptur aus einem Renault Safari an die Vergänglichkeiten der westlichen Konsumkultur und arrangierte "Die fünf Witwen" von Eva Aeppli um – mit einem von ihm erworbenen Lotus Rennwagen, den einst Weltmeister Jim Clark fuhr – zu einem Mahnmal für den tödlichen Rennzirkus. 

„Pit Stop“ für Renault 

Interessant ist auch das Auftragswerk von Renault mit dem Titel „Pit Stop“. Teile zweier Rennwagen aus der Saison 1983, gelenkt von Alain Prost und Eddie Cheever, vereinen sich in der monumentalen Skulptur in langsamen, fast schwebenden Bewegungen. Das Gefühl der Trägheit wird durch die in Endlosschleife abgespielte Filmsequenz eines Boxenstopps noch verstärkt. 

Kunst und Autos: Das passt eigentlich nicht zusammen. Ausser bei Jean Tinguely, dem wohl grössten Autofan unter den Künstlern, der dieser Tage 100 Jahre alt werden würde, wäre er nicht am 30. August 1991 verstorben. 

Text: Jürg Zentner 

Bilder: Tinguely Museum / Screenshots Youtube / Wikipedia

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