

Jochen Mass: Rennfahrer mit Seemannsherz
Formel-1-Pilot, Le-Mans-Sieger und Seemann: Jochen Mass ist im Alter von 78 Jahren gestorben. Er war bekannt als Stimme des Motorsports, einer mit grossem Herz und Charisma. Der Seemann unter den Rennfahrern hat nun seine letzte Reise angetreten.
Jochen Mass, ehemaliger Formel-1-Pilot, Le-Mans-Sieger und langjährige Stimme des Motorsports, ist im Alter von 78 Jahren verstorben. Wie seine Familie mitteilte, schlief er in seinem Zuhause in Cannes friedlich ein – er hatte sich von einem schweren Schlaganfall im Februar nicht mehr erholt. Mit Mass verliert der Motorsport einen Mann mit Charisma, Tiefgang und Benzin im Blut.
Zwischen Meer und Motoren
Geboren 1946 in Dorfen (Bayern), träumte Mass zuerst nicht von Rennstrecken, sondern vom offenen Meer. Als gelernter Schiffsmechaniker fuhr er zur See. Die Schiffe, sagte er einmal, hätten „Seele“. Doch als Streckenposten bei lokalen Rennen entdeckte er seine zweite grosse Leidenschaft: den Motorsport. Ende der 60er startete er im Tourenwagensport durch. 1972 gewann er mit Hans-Joachim Stuck das 24-Stunden-Rennen von Spa, 1973 wurde er Vizemeister der Formel 2 – und noch im selben Jahr fuhr er sein erstes Formel-1-Rennen.
In der Königsklasse machte er sich schnell einen Namen: Mass fuhr für Surtees, dann für McLaren, wo er auf Stars wie Emerson Fittipaldi und James Hunt traf. 1975 gewann er in Barcelona seinen ersten und einzigen Grand Prix – als zweiter Deutscher überhaupt. Doch der Sieg wurde überschattet vom Unfall des Hill-Piloten Rolf Stommelen, bei dem vier Zuschauer starben. Auch sonst erlebte Mass die gefährlichste Ära der Formel 1 hautnah. 1982 war er direkt am tödlichen Trainingsunfall von Gilles Villeneuve involviert. In 105 Grand Prix holte Mass 71 WM-Punkte – ein beachtlicher Wert für die damalige Zeit und Punkteverteilung. Doch sein grösster Erfolg sollte die Langstrecke sein.
Le-Mans-Sieger und Porsche-Legende
Ab den 1980ern konzentrierte sich Mass auf Sportwagenrennen. Schon 1976 war er Porsche-Werksfahrer geworden, 1982 stellte er in Le Mans seinen Renner auf Anhieb auf Platz zwei. Der ganz grosse Triumph kam 1989: Mit Manuel Reuter und Stanley Dickens gewann er im Sauber-Mercedes C9 das 24-Stunden-Rennen von Le Mans. 1991 beendete er seine aktive Karriere – mit einer Vita, die kaum facettenreicher sein könnte. Doch aufhören? Das war nie sein Stil. Mass blieb dem Motorsport als TV-Experte, Lehrmeister und Markenbotschafter erhalten. Von 1993 bis 1997 kommentierte er die Formel 1 bei RTL, just als Michael Schumacher begann, Geschichte zu schreiben. Mit ruhiger Stimme und feinem Humor erklärte er die Geschehnisse – sachlich, kompetent, charmant.
Ein Berater mit Herz – ein Mensch mit Haltung
Mass lag viel daran, junge Rennfahrer nicht nur mit fahrerischen Tipps zur Seite zu stehen. Bestes Beispiel: Michael Schumacher schätzte seinen Rat sehr. Mass riet ihm 1996 zu Ferrari: „Wenn du Ferrari wieder stark machst, wirst du der König von Italien.“ Eine goldrichtige Einschätzung. Auch im historischen Motorsport war Mass ein fester Bestandteil – bei der Mille Miglia, in Goodwood oder beim Oldtimer-Grand Prix. Als Mercedes-Benz-Markenbotschafter und leidenschaftlicher Geschichtenerzähler teilte er seine Erfahrungen gerne mit Fans und Kollegen. Jochen Mass war geerdet, witzig und voller Leidenschaft. Die Fans liebten ihn dafür – und seine Anekdoten aus den goldenen Jahren des Rennsports. „Was ich um mich herum habe, darüber kann ich sehr, sehr glücklich sein“, sagte er einmal über sein Leben.
Nun ist er zu seiner letzten Fahrt aufgebrochen. Seine Familie schreibt: „Er fährt nun wieder mit all seinen Freunden Rennen.“ Jochen Mass hinterlässt vier Kinder, fünf Enkel – und unzählige Bewunderer, die ihm ein ehrendes Andenken bewahren.
Text: GAT
Fotos: Mercedes