Ablenkung kann teuer zu stehen kommen
Carlos wollte nur kurz eine Einstellung an seinem Fahrzeug vornehmen, kollidierte durch die Ablenkung dann aber mit einer Strassenlaterne. Doch Carlos hatte Glück: Ausser Sachschaden gab es nichts. Auch keinen Regress, den die Versicherung hätte geltend machen können.
Carlos kaufte sich einen brandneuen BMW iX. Nachdem ihm sein Verkäufer sämtliche Einstellungen eingerichtet hatte, fuhr er freudig los. Während der Fahrt wollte sich ausgerechnet sein Handy nicht mit dem System koppeln. Anstatt anzuhalten, bediente Carlos das Handy. Durch die Manipulation und das gleichzeitige Abwenden des Blicks von der Strasse war er derart abgelenkt, dass er über die entgegenkommende Fahrspur auf die linke Strassenseite gelangte und mit einem Kandelaber kollidierte. Benommen vom Unfall schämte und ärgerte sich Carlos zugleich, aber wenigstens gab es keine Verletzten.
Klarer Fall
Für Carlos war der Fall klar: schuldig im Sinne der Anklage. Er wurde mit einer Busse von 400 Franken sowie Kosten und Gebühren von 330 Franken verurteilt. Zudem wurde ihm der Führerausweis für einen Monat entzogen. Abgesehen davon, dass er mit einem blauen Auge davongekommen war, übernahm sogar seine Haftpflichtversicherung den Schaden an seinem Auto und dem Kandelaber. Die Versicherung verzichtete darauf, einen Teil des Schadens von ihm zu verlangen. Das heisst auf Juristendeutsch: Die Versicherung machte keinen Regress geltend.
Neben dem Strassenverkehrsgesetz sehen auch die meisten allgemeinen Versicherungsbedingungen vor, dass die Versicherungsleistungen gekürzt, verweigert oder ganz zurückgefordert werden können, wenn der Vorfall in angetrunkenem oder fahrunfähigem Zustand verursacht wurde. Das heisst konkret: Wer unter Betäubungsmittel- oder Arzneimitteleinfluss steht oder aus anderen Gründen wie beispielsweise bei einem Sekundenschlaf einen Unfall mit Schaden verursacht, kann zur Kasse gebeten werden. Der Sekundenschlaf hat übrigens nicht nur bei den Versicherungen einen «schlechten Ruf», sondern auch bei der Polizei und den Strassenverkehrsämtern. Denn meist wird ein Sekundenschlaf immer als sogenanntes grobes Verkehrsregeldelikt betrachtet, was zu einem Strafregistereintrag mit hoher Busse und einem Ausweisentzug von mindestens drei Monaten führt, aber auch zu einem Rückgriff der Versicherung, wenn diese für den eigenen oder den Schaden Dritter aufkommen muss.
Umfang des Regress
Der Umfang des Rückgriffs hängt vom Verschulden und der wirtschaftlichen Lage des Verursachers ab. Man unterscheidet grob zwei Level (ohne Gewähr): Ein Regress beziehungsweise eine Kürzung um mindestens zehn bis 30?Prozent erfolgt bei folgenden Punkten: Nichttragen der Sicherheitsgurte, Telefonieren ohne Freisprechanlage, Verwendung eines Mobiltelefons zur Versendung einer Kurzmitteilung, Überfahren von Stoppsignalen, Rotlicht oder Sicherheitslinien, Verwendung von Sommerpneus bei winterlichen Strassenverhältnissen, Fahren unter Alkohol (bei einer Blutalkoholkonzentration von 0,5 bis 0,79 ‰ mindestens zehn bis 20 %, bei 0,8 bis 1,2 ‰ mindestens 30 %). Ein Regress beziehungsweise eine Kürzung um mindestens 30 bis 50 Prozent erfolgt bei folgenden Punkten: Geschwindigkeitsexzesse, Unterschreiten des minimalen Abstands zum Vordermann, Fahren unter Einfluss von Drogen und Medikamenten sowie bei starker Angetrunkenheit (oberhalb von 1,2 ‰). Bei Toten und Schwerverletzten gab es seltene Fälle von einem Regress bis zu 70 Prozent. Beim Unfallverursacher bleiben in solchen Fällen sechs- bis siebenstellige Beträge hängen.
Diese Grenzwerte sind jedoch bestenfalls Leitlinien. Es lohnt sich daher auf jeden Fall, den Kontakt mit der Versicherung zu suchen. Carlos tat genau dies und konnte als treuer und langjähriger Prämienzahler die Versicherung dafür gewinnen, auf einen Regress zu verzichten. In Zukunft wird Carlos rechts heranfahren, wenn er Einstellungen an seinem Auto vornimmt. Robin Road wünscht allseits gute Fahrt!
Robin Road hilft
Dr. Rainer Riek – alias Robin Road – schreibt in jeder ai-Ausgabe und auf unserer Website über strassenverkehrsrechtliche Themen sowie rund ums Auto im Recht. Er ist Rechtsanwalt und Notar bei www.zp-law.ch und unter anderem spezialisiert auf Strassenverkehrsrecht. Zudem postet er seine Autoquartette auf dem Autoblog von www.driving.legal. Wichtiger Hinweis: Es handelt sich hier meist um reale Fälle mit geänderten Namen. Jeder Fall ist verschieden und muss einzeln betrachtet werden. Daher erfolgen sämtliche Empfehlungen und Angaben ohne Gewähr.
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